Einleitung:
Rechte Influencer haben eine neue Form politischer Inszenierung geschaffen: Journalismus ohne Journalismus, Analyse ohne Analyse, aber dafür mit maximaler Emotionalisierung. Zu den sichtbarsten Akteuren zählt „Neverforgetniki“, bürgerlich Niklas Lotz, der sich selbst als „YouTuber“, „freier Journalist“ und „Bestseller-Autor“ beschreibt. Medien wie Correctiv und mehrere Regionalzeitungen ordnen ihn der Neuen Rechten zu. Seine Videos, Posts und Kommentare folgen einer klar erkennbaren Dramaturgie: Er inszeniert sich als unbequemer Aufklärer, der angeblich ausspricht, was „niemand sonst sagen darf“, und erschafft damit eine politische Parallelwirklichkeit, in der Erregung die Funktion von Fakten übernimmt. Dieser Text analysiert satirisch und kritisch die Mechanik, Logik und Wirkung dieser Rhetorik – als Kommentar über das öffentlich zugängliche Wirken, nicht über die Privatperson.
Hauptteil:
Die Inszenierung des einsamen Wahrheitskämpfers
Neverforgetnikis öffentliche Kommunikation beginnt fast immer mit einer klaren Rollenverteilung: Hier der mutige Einzelne, dort das feindliche Establishment aus Medien, Politik oder „linken Eliten“. Die Dramaturgie funktioniert wie eine moderne Heldenerzählung: Der Protagonist behauptet, gegen Unterdrückung anzureden, während seine Reichweite längst Hunderttausende umfasst. Kritik wird nicht als demokratische Korrektur verstanden, sondern als Beleg dafür, dass man ihn angeblich „mundtot machen wolle“. Dieses Muster verleiht seiner Rhetorik eine Immunfunktion: Wer widerspricht, wird automatisch Teil des Feindbilds. So entsteht keine politische Debatte, sondern ein hermetisch geschlossenes Narrativ, in dem die eigene Rolle nie in Frage steht. Es ist die Konstruktion eines Widerstandes ohne Risiko, aber mit maximaler Resonanz.
Emotion als politisches Werkzeug
Seine Videos und Posts basieren weniger auf Faktenanalyse als auf der gezielten Aktivierung starker Gefühle. Migration, Kriminalität oder gesellschaftliche Konflikte erscheinen nicht als komplexe Themen, sondern als dramaturgisches Material für Empörung. Einzelereignisse werden überhöht, zugespitzt und in einen narrativen Kontext eingebettet, der immer dieselbe Botschaft transportiert: Verfall, Gefahr, Kontrollverlust. Die emotionale Intensität ersetzt die Argumentation. Dies folgt der Ökonomie digitaler Plattformen, die Emotionalisierung belohnen. Where traditionelle Medien differenzieren, destilliert Neverforgetniki Emotionen. Das Ergebnis ist eine Kommunikationsform, in der politischer Inhalt nur noch als Transportmittel für Aufregung dient – und nicht als Grundlage für Verständnis. Es ist die Ersetzung von Analyse durch Affekt.
Vom Einzelfall zur großen Erzählung des Niedergangs
Ein Schlüsselmerkmal seines Storytellings ist die Verallgemeinerung: Ein Bericht, ein Videoausschnitt, eine Meldung genügt, um eine gesamtgesellschaftliche Diagnose zu formulieren. Aus einem Einzelfall wird ein angebliches Muster, aus einem Vorfall ein Symbol, aus einem Detail ein Beweis für das „Systemversagen“. Diese Dramatisierung ignoriert politische, rechtliche und statistische Kontexte zugunsten einer klaren Plotstruktur. Die Erzählung wirkt dadurch geschlossen, unabhängig von Tatsachengehalt. Politische Realität wird nicht verstanden, sondern umgeschrieben, bis sie zum eigenen Narrativ passt. Die vereinfachte Perspektive schafft ein scheinbar intuitives Weltbild, das dort Klarheit verspricht, wo eigentlich Ambivalenz herrscht. Der Effekt ist mächtig: Wer sich der Dramatisierung ausliefert, verliert das Bewusstsein für die Komplexität politischer Prozesse.
Die Opferrolle als identitäres Bindeglied
Besonders auffällig ist die permanente Selbstinszenierung als Opfer eines übermächtigen Gegners. Neverforgetniki deutet Kritik, Gegenstimmen oder journalistische Einordnungen häufig als gezielte Angriffe. Dabei wird die eigene Popularität paradoxerweise zum Argument der Verfolgung: Je größer die Reichweite, desto stärker angeblich die Unterdrückung. Diese Logik stärkt die Bindung zum Publikum, denn sie schafft ein gemeinsames Gefühl der Bedrohung. Die Zuschauer werden nicht nur Konsumenten, sondern Mitbetroffene. Dadurch entsteht eine kommunikative Symbiose: Die Opferpose erzeugt Loyalität, Loyalität verstärkt Reichweite, Reichweite bestätigt das Narrativ. Es ist ein identitätspolitischer Mechanismus, der die politische Debatte nicht erweitert, sondern einengt. Die Welt wird in Täter und Opfer geteilt – und der Erzähler entscheidet, wer welche Rolle bekommt.
Die gesellschaftliche Wirkung eines verkürzten Weltbildes
Durch seine enorme Reichweite und seine stetige Wiederholung emotionalisierter Deutungsmuster trägt Neverforgetniki zur Verflachung politischer Wahrnehmung bei. Komplexe Zusammenhänge werden zu einfachen Feindbildern, demokratische Institutionen zu Karikaturen, gesellschaftliche Konflikte zu dramaturgischen Ressourcen. Die politische Wirkung liegt nicht in konkreten Argumenten, sondern in der Verzerrung dessen, was als Realität gilt. Dadurch entsteht ein öffentlicher Raum, in dem Fakten zweitrangig sind und Emotionen den Takt vorgeben. Eine solche Erzählstruktur verschiebt den politischen Diskurs: Differenzierung wird verdächtig, Zweifel wird schwach, und Komplexität wird als Bedrohung empfunden. Das begünstigt Polarisierung und erschwert jene Debatten, die eine demokratische Gesellschaft dringend bräuchte.
Verbesserungsvorschlag:
Eine wirksame Antwort auf dieses rechte Influencing liegt nicht in Gegenpropaganda, sondern in der Stärkung analytischer Kompetenzen. Öffentlich-rechtliche und freie Medien sollten stärker auf Transparenz und Kontextualisierung setzen: Welche Zahlen liegen vor? Welche Quellen? Welche methodischen Unsicherheiten? Zugleich sollte Medienkompetenz in Schulen und Erwachsenenbildung explizit vermitteln, wie emotionale Erzähltechniken funktionieren und wie sie Einfluss auf Wahrnehmung nehmen. Plattformen könnten algorithmische Bevorzugung extrem polarisierender Inhalte reduzieren, ohne Inhalte zu zensieren, sondern indem emotionale Überverstärkung technisch gedämpft wird. Ziel ist eine robustere Öffentlichkeit, die erkennt, wann sie emotional angesprochen wird – und wann sie politisch informiert wird. Damit entsteht kein moralisches Gegenmilieu, sondern ein demokratischer Schutzraum gegen propagandistische Vereinfachung.
Schluss:
Nie vergessen wird nicht, was in diesen Erzählungen wirklich geschieht: Journalismus wird durch Dramatisierung ersetzt, Analyse durch Affekt, Debatte durch Loyalität. Je sichtbarer diese Mechanik wird, desto klarer zeigt sich der politische Kern des Phänomens. Eine demokratische Öffentlichkeit braucht keine Helden der Empörung, sondern mündige Bürger, die erkennen, wann ihnen eine Geschichte verkauft wird – und wann ihnen jemand die Welt erklärt.
Rechtlicher Hinweis:
Dieser Beitrag verbindet Fakten mit journalistischer Analyse und satirischer Meinungsäußerung.
Alle Tatsachenangaben beruhen auf nachvollziehbaren, öffentlich zugänglichen Quellen;
die Einordnung und Bewertung stellt eine subjektive, politisch-satirische Analyse dar.
Die Inhalte dienen der Aufklärung, der Kritik und der politischen Bildung und sind im Rahmen von Art. 5 GG geschützt.
Systemkritik.org distanziert sich ausdrücklich von Diskriminierung, Extremismus, religiösem Fanatismus und jeglicher Form von Gewaltverherrlichung.
