Einleitung:
Wenn politische Skandale ans Licht gezerrt werden, erwartet die Öffentlichkeit ein scharfes Schwert der Aufklärung. Doch statt eines Untersuchungsausschusses, der wie ein Rammbock Türen aufbrechen könnte, wird gerne das weich gepolsterte Kissen der Enquête-Kommission ausgebreitet. Das klingt nach Seriosität, nach Expertenrunde und nach wissenschaftlicher Analyse – ist aber oft nicht mehr als ein taktischer Nebelvorhang. Während die Bürger nach Klarheit schreien, liefert die Politik einen Arbeitskreis. Verantwortungsübernahme wird ersetzt durch Sitzungsprotokolle, Schuldfragen durch Gutachten. Der eigentliche Zweck: Zeit gewinnen, Empörung dämpfen, die Illusion von Aktivität pflegen. Das Ergebnis ist selten Aufklärung, sondern meist ein gepflegtes Verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Willkommen in der hohen Kunst der Verantwortungsflucht.
Hauptteil:
Die Kommission als Sedativum
Die Enquête-Kommission ist das Valium der politischen Landschaft. Während ein Untersuchungsausschuss in der Regel mit Zwangsbefugnissen ausgestattet ist, Zeugen laden und Unterlagen einsehen darf, begnügt sich die Enquête-Kommission mit Empfehlungen. Das klingt nach Arbeit, ist aber eine Therapiegruppe für Verantwortungsträger. Wer glaubt, hier würden harte Fakten freigelegt, irrt: Es geht ums Sammeln, Abwägen, vielleicht sogar ums „Verstehen“. Was dabei herauskommt, hat meist den Charme eines langen Beipackzettels – sachlich, korrekt, aber frei von Konsequenz. Die Schuldfrage bleibt unbeantwortet, die Akteure unantastbar. Die Kommission dient weniger der Wahrheit als der Sedierung einer empörten Öffentlichkeit.
Die Eleganz der Verschleppung
Untersuchungsausschüsse haben einen klaren Takt: Ladungen, Anhörungen, öffentliche Schlagzeilen. Sie produzieren Druck. Enquête-Kommissionen hingegen liefern den fein austarierten Walzer der Verschleppung. Sitzungen im Halbdunkel, Arbeitsgruppen voller Fachbegriffe, Endberichte, die erst dann erscheinen, wenn das politische Interesse längst erloschen ist. Verantwortungsflucht wird zum Tanzstil, elegant und geübt. Niemand muss treten, niemand stolpert. Am Ende wiegt man sich im Glanz von Expertise, während die eigentliche Aufklärung unauffällig beerdigt wird. Wer hier Verantwortung sucht, findet höchstens Fußnoten.
Die Sprache der Nebelkerzen
Schon die Wortwahl verrät das Kalkül: „Enquête“ klingt erhaben, französisch, fast wie ein akademischer Salon. Untersuchung hingegen hat den Geruch von Verhör, von Polizeiakten, von Schweiß. Man tarnt die politische Bequemlichkeit im Kostüm der Wissenschaft. Statt klarer Fragen wird ein Kanon an Worthülsen produziert: „Handlungsoptionen entwickeln“, „Komplexität erfassen“, „Empfehlungen aussprechen“. Wer Verantwortung erwartet, findet eine Sprachwolke. Es ist die Kunst, Nebelkerzen als Leuchttürme zu verkaufen. Das Publikum nickt müde, während hinter der Kulisse die Türen geschlossen bleiben.
Der Bürger als Statist
In dieser Inszenierung spielt die Bevölkerung keine Rolle außer der des geduldigen Statisten. Erwartet wird das Schweigen, wenn Politiker in langen Berichten die Verantwortung in Watte packen. Der Bürger darf lesen, aber nicht fragen; zuhören, aber nicht einfordern. Untersuchungsausschüsse sind unbequem, weil sie das System zur Selbstoffenbarung zwingen. Enquête-Kommissionen sind bequem, weil sie Distanz schaffen. Das Publikum wird mit Textbergen abgespeist, während die Täter längst weiterziehen. So wird die Demokratie zur Bühne, auf der man Aufklärung nur noch spielt, nicht mehr praktiziert.
Verantwortung im Warteschleifenmodus
Das wahre Meisterstück der Enquête-Kommission ist ihr Zeitfaktor. Sie verschiebt Antworten auf morgen, auf übermorgen, auf irgendwann. Wer einen Untersuchungsausschuss fordert, will eine harte, unmittelbare Konfrontation. Wer eine Enquête-Kommission einsetzt, setzt auf Warteschleife. Während die Bürger den Freiton hören, läuft im Hintergrund das Geschäft wie gewohnt weiter. Und wenn der Endbericht nach Jahren veröffentlicht wird, ist er bereits ein Fossil: gedruckte Vergangenheitsbewältigung, während die Gegenwart unberührt bleibt. Verantwortungsflucht auf höchstem Niveau – höflich, korrekt, unverbindlich.
Schluss:
Die Enquête-Kommission ist der Smoking der Verantwortungsverweigerung: elegant, respektabel, aber ohne jede Schärfe. Sie ist das höfliche Lächeln, das die Faust im Sack ersetzt. Wer Aufklärung will, bekommt ein Studienprojekt. Wer Konsequenzen verlangt, erhält Empfehlungen. So schleicht sich ein Muster in die Demokratie: Skandale werden nicht gelöst, sondern archiviert. Die Verantwortlichen lernen, dass sie ihre Fehler nicht fürchten müssen – sie müssen sie nur in Kommissionen umwandeln. Und so wächst die Distanz zwischen Macht und Gesellschaft weiter, bis das Wort „Aufklärung“ nur noch klingt wie ein Relikt aus einer Zeit, in der Verantwortung nicht vertagt, sondern getragen wurde. Der letzte Rest Vertrauen verdampft in dieser politischen Warteschleife – und mit ihm die Idee, dass Macht jemals ehrlich Rechenschaft ablegen will.
Rechtlicher Hinweis:
Hinweis: Dieser Beitrag enthält persönliche Meinungen, Wertungen und satirische Überhöhungen. Er stellt keine Tatsachenbehauptungen dar, sondern ist eine subjektive Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen.