Einleitung
Die Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz zur Migration und seine öffentliche Familiengeschichte stehen seit Herbst 2025 im Zentrum kontroverser Debatten. In diesem Beitrag werden Fakten, Zitate und Zusammenhänge zu Merz’ jüngster „Stadtbild“-Äußerung, weiteren migrationsbezogenen Aussagen, seinen Kommentaren über den Großvater sowie die historische Rolle dieses Großvaters analysiert. Politische Reaktionen werden dargestellt; sämtliche Zitate stammen aus verlässlichen Medienquellen, soweit rechtlich erforderlich.
1. Merz’ „Stadtbild“-Aussage (Oktober 2025)
Bei einem Besuch in Potsdam am 14. Oktober 2025 erklärte Merz sinngemäß:
„Bei der Migration sind wir sehr weit. … Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem.“[1]
Er deutete damit an, die Regierung habe die Zuwanderungszahlen zwar gesenkt, sehe jedoch weiterhin „ein Problem“ im Erscheinungsbild deutscher Städte. Diese Formulierung löste sofort Empörung aus: Politikerinnen und Politiker von SPD, Grünen und Linken warfen Merz vor, Flüchtlinge pauschal zu stigmatisieren. So mahnte SPD-Abgeordnete Rasha Nasr, ein Kanzler dürfe kein „Brandbeschleuniger“ sein[2]. Auch aus den eigenen Reihen kam Widerspruch: Berlins CDU-Regierender Bürgermeister Kai Wegner betonte, Probleme im Stadtbild ließen sich nicht mit Migration erklären[3][4].
Politische Wirkung: Die Äußerung entfachte eine parteiübergreifende Debatte. Kritiker warnten, der Begriff „Stadtbild“ fungiere als sogenanntes Codewort („Dog Whistle“) und stärke rechtspopulistische Narrative. Zugleich unterstützten einige Unionspolitiker Merz’ Kurs und lobten die von ihm signalisierte Härte bei Abschiebungen. Unstrittig ist: Die Aussage rückte Merz ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und spaltete die politische Wahrnehmung. Damit setzte Merz die Themenhoheit über Migration erneut auf die politische Agenda – allerdings auf Kosten einer integrativen gesellschaftlichen Debatte.
Sozialpsychologische Analyse: Die Wortwahl „Stadtbild“ legt nahe, dass Merz Migration als Störfaktor einer vermeintlich homogenen Normalität rahmt – als Abweichung vom Ideal des „geordneten“ Stadtbilds. Sozialpsychologisch deutet dies auf Ängste vor sozialem Wandel und ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle und Ordnung hin. Die Betonung von Rückführungen zeigt eine konfliktaffine, autoritätsorientierte Grundhaltung.
2. Weitere diskriminierende Aussagen (2022–2025)
In den vergangenen Jahren wiederholten sich migrationskritische und polemische Äußerungen von Merz. Einige prägnante Beispiele:
- September 2022 („Sozialtourismus“ über Ukrainer): Merz warf ukrainischen Geflüchteten „Sozialtourismus“ vor[5]. In einem „Bild“-TV-Interview sagte er:
„Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine …“[6]
Die Aussage führte zu breiter Empörung; Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnete sie als „schäbig“. Merz entschuldigte sich später für den Begriff, hielt jedoch an seiner Einschätzung wachsender Integrationsprobleme fest[6]. Der Begriff „Sozialtourismus“ stigmatisiert Schutzsuchende als opportunistisch und spiegelt Misstrauen gegenüber Fremdgruppen sowie ein Bedürfnis nach Kontrolle über Zugehörigkeit wider.
- Januar 2023 („kleine Paschas“): Nach den Silvesterkrawallen erklärte Merz, es gebe ein „Problem mangelnder Integration junger Menschen“. Er sagte:
„Besonders wenn es sich um Lehrerinnen handelt, dass sie ihre Söhne, die kleinen Paschas, da mal etwas zurechtweisen.“[7]
Diese Formulierung (ZDF/Lanz) löste massive Kritik wegen Pauschalisierung und Fremdenfeindlichkeit aus[8]. Merz personalisiert gesellschaftliche Probleme, indem er kulturelle Zuschreibungen verwendet – ein Hinweis auf stereotype Projektionen und Abwehrmechanismen.
- September 2023 („Asylbewerber in Arztpraxen“): In einem Interview mit der „Welt“ sagte Merz, abgelehnte Asylbewerber würden „voll versorgt“ und „beim Arzt sitzen und sich die Zähne neu machen lassen“[9][10]. SPD, Grüne und Linke warfen ihm daraufhin populistische Stimmungsmache vor; es folgten Anzeigen wegen Volksverhetzung. Die Aussage konstruiert ein Konkurrenz- und Verdrängungsszenario und spiegelt ein hierarchisches Gerechtigkeitsverständnis sowie Bedrohungsempfinden wider.
- September 2024 (Wahlkampfrede): Merz warnte vor einer „Überforderung“ durch Zuwanderung und machte Migration für Missstände an Schulen verantwortlich[11]. Die Aussage folgt einem binären Denkmuster – Integration als Nullsummenspiel – und offenbart ein defensives Verständnis sozialer Stabilität.
- Juni 2025 (USA-Reise): Auf Fox News erklärte Merz:
„Wir haben … eine Art importierten Antisemitismus mit dieser großen Zahl von Migranten.“[12]
Die Reaktionen in Deutschland reichten von Empörung bis Entsetzen. Die Aussage projiziert gesellschaftliche Konflikte auf Fremdgruppen und verstärkt Abgrenzungsmechanismen.
3. Merz’ Aussagen über seinen Großvater
Friedrich Merz hat mehrfach versucht, die NS-Vergangenheit seines Großvaters Josef Paul Sauvigny zu relativieren. 2004 schrieb er, sein Großvater sei „ohne eigenes Zutun“ in die NSDAP eingetreten[13] und „kein Nationalsozialist“ gewesen[14]. Erst im Wahlkampf 2025 räumte Merz ein, Sauvigny sei „in diese Abgründe des Nationalsozialismus hineingeraten“[15]. Die Entwicklung seiner Aussagen zeigt eine Verschiebung von Abwehr zu vorsichtiger Relativierung. Die Formulierung „hineingeraten“ deutet auf eine externalisierte Schuldabwehr hin – Verantwortung wird auf Umstände projiziert.
4. Josef Paul Sauvigny: Historischer Werdegang
Josef Paul Sauvigny (1875–1967), Großvater von Friedrich Merz, war von 1917 bis 1937 Bürgermeister von Brilon. Bis 1933 Mitglied der Zentrumspartei, trat er 1933 der SA bei und 1937 in die NSDAP ein (Antragstellung nachweislich früher)[16][17]. Nach seiner Pensionierung hieß es, er habe sein Amt „stets im nationalsozialistischen Geiste verwaltet“[18]. In den Entnazifizierungsverfahren 1946/47 wurde er als „Mitläufer“ eingestuft und amnestiert. Diese Angaben sind durch Archivquellen belegt[19].
5. Vergleichende Analyse: Merz und sein Großvater
Ein Vergleich zeigt strukturelle Ähnlichkeiten: Während Sauvigny als SA-Oberscharführer autoritäre Ideale vertrat, transportiert Merz – ohne ideologische Gleichsetzung – ähnliche Denkmuster: Ordnung, Disziplin, Vorrang der „eigenen Bevölkerung“, Skepsis gegenüber Fremdgruppen. Sozialpsychologisch lässt sich dies als unbewusste Tradierung autoritärer Werte deuten.
6. Psychologischer Gesamtbericht
(Analyse: keine Diagnose, sondern sozialpsychologische Einordnung.) Aus psychologischer Perspektive entsteht das Bild eines politisch konservativen Machtstils, geprägt von Loyalität, Kontrollbedürfnis und Abgrenzung. Merz inszeniert sich als Verteidiger von Ordnung und Stabilität, spricht gezielt Ängste an und rationalisiert gesellschaftliche Spannungen. Seine Relativierungen der Familiengeschichte deuten auf Abwehrmechanismen hin, die das Selbstbild schützen sollen.
Gelegentlich zeigen seine Auftritte narzisstische Züge: Er spricht häufig in der Wir-Form („wir haben geliefert“) und betont Grenzsetzung als moralisches Prinzip. Zusammengenommen ergibt sich ein Profil konservativer Führungstypen: Ordnungsliebe, Statussicherung, geringe Empathie für gesellschaftliche Randgruppen.
Haftungsausschluss
Dieser Beitrag basiert auf öffentlich zugänglichen Quellen und journalistisch überprüften Informationen. Alle direkten Zitate sind belegt. Psychologische, historische und vergleichende Analysen sind als interpretative Einordnungen zu verstehen und stellen keine klinischen Diagnosen dar. Die Nutzung von Zitaten erfolgt im Rahmen des Zitatrechts gem. § 51 UrhG. Es wird keine Gewähr für Vollständigkeit oder absolute Objektivität übernommen; die Inhalte dienen der kritischen Einordnung und Meinungsbildung im Rahmen der Presse- und Meinungsfreiheit gem. Art. 5 GG.
Quellen
- [1] Deutschlandfunk – Friedrich Merz und das Problem mit dem „Stadtbild“
- [2] Frankfurter Rundschau – Merz und das Stadtbild
- [3] ZDFheute – Kritik an Stadtbild-Aussage
- [4] ZDFheute – Wegner distanziert sich von Merz
- [5] Süddeutsche Zeitung – Merz über „Sozialtourismus“
- [6] Süddeutsche Zeitung – Reaktionen auf „Sozialtourismus“-Äußerung
- [7] DIE ZEIT – „Kleine Paschas“-Aussage
- [8] DIE ZEIT – Reaktionen auf „Kleine Paschas“
- [9] Tagesspiegel – Asylbewerber beim Zahnarzt
- [10] Tagesspiegel – Reaktionen auf Zahnarzt-Aussage
- [11] News4Teachers – Faktencheck Schulen
- [12] DIE ZEIT – Importierter Antisemitismus
- [13] taz – Frühere Stellungnahme Merz
- [14] taz – „Kein Nationalsozialist“-Zitat
- [15] taz – Podcast-Aussage 2025
- [16] taz – Archivfunde zur NSDAP-Aufnahme
- [17] taz – SA-Mitgliedschaft und Bewertung
- [18] taz – Entnazifizierung und Bewertung
- [19] Jewish Telegraphic Agency – Historische Ergänzung
